Kraft kommt von Kraftstoff

Geschrieben am 21.06.15 | Freizeitteam |

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Tourveranstalter Martin Götze tauft die Teilnehmer am Tag nach der Tour als „Giganten der Landstraße“.

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Thomas mit Martin Götze (l.).

Mit dem Rad an die Ostsee. An einem Tag. Nonstop! Gesagt, getan. Hä? „Das ist doch nicht euer Ernst. Ihr seid doch verrückt!“ Nee, verrückt sind wir nicht! Höchstens im positiven Sinne. Wir suchen vielmehr stets eine neue sportliche Herausforderung. Sechs aus unserem Verein nahmen im vergangenen Jahr die Ostseetour, die zum 15. Mal veranstalet wurde, unter die schmalen Pneus. Sie waren schwer begeistert und stachelten mich an „Mensch, Tom, die Ostseetour musste mal fahren!“ Im Januar habe ich dann meine Anmeldung abgeschickt und bekam als Rookie prompt einen Startplatz für den 13. Juni, für die 16. Ostseetour von Leipzig nonstop nach Markgrafenheide. Glück gehabt, denn die 120 Startplätze sind begehrt und binnen zwei Stunden nach Anmeldestart vergeben. Knapp sechs Monate bereitete ich mich auf meine Tour des Lebens vor. Reicht das zweimalige Fahren von 80 bis 100 Kilometern pro Woche aus, um eine so lange Strecke mit Spaß zu fahren? Ich wusste es nicht, weiß es aber jetzt. Ja!

Eine Woche vor meiner Premiere bei der OT hatte ich mächtig Fracksausen und einen Riesenrespekt vor der Distanz. Die Angst wich dann aber. Zwei Tage vor dem Start gab es nur noch pure Freude und ich hatte Hummeln im Hintern.

Am Vorabend, sprich vergangenen Freitag, schlief keiner von uns vieren. Uns vier, damit meine ich noch meine fetzigen Mitstreiter – Thomas Kath aus Belgern, der die Ostseetour zum inzwischen 6. Mal bestritt, sowie meine Vereinskollegen Enrico Hilpert und Mario Pfitzner, die beide im vergangenen Jahr ihr Debüt gaben. Gemeinsam ging es Samstag 0.14 Uhr mit dem Zug nach Leipzig. Bis zum Tourstart um 4 Uhr auf dem Augustusplatz hatten wir mehr als zweieinhalb Stunden Zeit, konnten uns in Ruhe und mit Gelassenheit vorbereiten, umziehen, das Rad das letzte Mal checken und „zwanzig“ Mal auf den Topp gehen. Ab 3 Uhr füllte sich der Augustusplatz. Einschreiben, Gepäck aufgeben. Leipzig erwachte beziehungsweise ging schlafen. Die Nacht veränderte sich von schwarz zu blau. Mit einem freundliche „Guten Morgen“ nahm Tourveranstalter und Mitfahrer Martin Götze uns und die restlichen 116 Damen (2) und Herren (50 Prozent über 50 Jahre) dann exakt 4 Uhr mit auf die legendäre Tour an die Ostsee. Im Eilzugtempo ging es nach Bad Düben, wo die blutrote Sonne hinter der Stadtsilhouette vorlugte. Es ging nahe Wittenberg vorbei nach Oranienbaum. Die Reisegeschwindigkeit hatte sich inzwischen auf durchschnittlich 31 km/h eingepegelt. Bald tauchte Dessau auf – 1. Pittstopp. Nahrung – Energie – fassen (Veranstalter reichte Joghurts in nahezu allen Geschmacksrichtung, Kuchen, Kaffee, Kaltgetränke, 1030 lecker belegte Baguettebrötchen, es gab die berühmte Haferflockensuppe mit Früchten, Obst, Gemüse und und und). Die warme Bekleidung ablegen und im Reisegepäck verstauen. Während der gesamten Tour begleitete uns ein Fahrzeugtross plus ein Motorradfahrer, der an den Kreuzungen unsere Vorfahrt regelte, der uns während der Fahrt mit Getränken und Obst versorgte. Was für ein toller Support!

Nach 20 Minuten Pause ging es hurtig weiter nach Roßlau, Ziesar bis zum nächsten Stopp in Güsen. Bis hierhin hatte das geschlossen fahrende Peloton, in dem auch der Gniebitzer Karsten Döbelt und sein Bruder René fleißig mitstrampelten, die gut 170 Kilometer mit einem 33er-Schnitt heruntergeschruppt. Wieder 20 Minuten Pause – ausreichend Zeit, die Akkus mit Energie und die Trinkflaschen mit Frischem zu fülen, Sonnenschutz aufzulegen und zu regenerieren. Weiter ging’s! Gut in der Zeit liegend, startete die nächste Etappe. Mir brannten höllisch die Fußsohlen. Oje, und noch nicht einmal die Hälfte des Weges war gefahren. Beim Mittagsstopp in Werben wechselte ich meine Radrennschuhe. Die Frischen taten gut an den Füßen. Die große Frage stand: Wie werden wir die Mittagspause verkraften? Denn mehr als eine Stunde Pause bringt den Körper aus den Rhythmus. Ja, die Beine waren schwer. Aber es ging ja jedem so im Feld. Bei der Abfahrt nieselte es. Schad’ nix, wir fahren weiter. Wenn, dann werden wir allesamt nass! Und das wurden wir auch. Es regnete teils aus Kannen. Die Radler, die Bekleidung und die Rennräder wurden auf Wasserbeständigkeit getestet. Summa summarum viereinhalb Stunden lang. Doch bis auf vier Fahrer, die nach Stürzen und einhergehenden Schäden am Rad, aufgrund akuter gesundheitlicher Probleme und Entkrätung aufgeben mussten, bestanden die Protagonisten den WHT – den Wasserhärtetest. Immer noch im Eilzugtempo ging es in Richtung Landesgrenze Mecklenburg-Vorpommern, wo uns die Polizei empfing, uns fortan bis nach Warnemünde eskortierte und die Straße voll sperrte. Vorletzter Pittstopp in Siggelkow. Bis dahin war die Etappe knapp über 100 Kilometer. Der Streckenabschnitt verlängerte sich um nicht geplante 25 Kilometer durch eine Verkehrsumleitung. Doch was sind schon 25 Kilometer, gemessen an der Gesamtdistanz von schlussendlich 475 Kilometern. Gar nix! Ich war froh darüber, Siggelkow erreicht und 315 Kilometer absolviert zu haben. Denn ich hatte meinen körperlichen Einbruch. Hastig gab ich meinem nach Futter brülenden Körper Nachschub – Hafer-Früchte-Suppe, Kaffee, Energieriegel, Obst. Kraft kommt bekanntermaßen von Kraftstoff. Pfitze, Enrico, Thomas und etliche andere aus unserer Reisegesellschaft munterten mich auf. Und auch diesmal reichten 20 Minuten für die Regeneration. Es war schon erstaunlich. Ab auf’s Rad und weiter. Inzwischen hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Es goss! Eine letzte verkürzte Pause circa 60 Kilometer vor Rostock-Warnemünde. Ich war wieder hergestellt, war wieder topfit. Hätte bis Dänemark noch durchradeln können. Die Dunkelheit setzte ein (blau zu schwarz) und dazu gab es Starkregen – eine nicht ganz ungefährliche Kombination. Gut nur, dass die Straßen für uns voll gesperrt wurden. Parallel zur Küste spulten wird die letzten Kilometer herunter. Im Feld wurde kaum noch gesprochen. Die Konzentration forderte unsere ganze restliche Energie. Es gab nur noch kurze Kommandos mit denen auf Gullydeckel, Schlaglöcher oder große Pfützen auf der Straße hingewiesen wurde.

Waaaaarnemüüüüüüüünde! Yeah! Es ging in Richtung Fähre Hohe Düne. Vom Führungsfahrzeug (Discowagen) dröhnte es aus den auf dem Anhänger installierten Lautsprecherboxen „The Final Count- down“. Nur noch wenige Kilometer vom anderen Ufer entfernt war das Ziel – Markgrafenheide. Auf der Fährüberfahrt kam Freude auf. Geschafft. So gut wie. Auf dem Campingplatz in absoluter Dunkelheit angekommen, jubelten dann 116 völlig durchnässte, einheitlich kohlemunk-schwarze Radrenner – Ostseetour 2015 geschafft! Wir waren dabei. 475 Kilometer in 15:13 Stunden reiner Fahrtzeit, davon viereinhalb Stunden im Regen. Nachdem die gesamte Reisegesellschaft gegen 23 Uhr geabendbrotet und dann die Unterkünfte (Bungalows) im Dunkel der Nacht gefunden hatte, mussten wir feststellen, dass der Lkw mit unseren Taschen nicht da war. Wir hatten nur unsere dreckigen, nassen Radsachen am Leib. Es wurde eine denkwürdige Nacht, über die alle noch Jahrzehnte feixen werden. Denn frische Sachen aus der eigenen Sporttasche gab es erst tags darauf! Doch das ist eine ganz andere Geschichte!

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Sonnenaufgang kurz vor Bad Düben

Alles in allem eine großartige Tour, mit einer perfekten, professionellen Organisation, tollen Teilnehmern (hohe Disziplin im Fahrerfeld) – der Weg ist das Ziel. Nächstes Jahr wieder. Unbedingt! In diesem Sinne – Kette rechts!

 

1-2-3-Sport frei! Thomas

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